Anfänge der Kostendämpfungspolitik
Die Arzneimittelversorgung ist in Deutschland traditionell nur schwach reguliert. Insbesondere gilt dies für die Preisbildung bei Arzneimitteln. Angesichts steigender Ausgaben erfasste der Übergang zur Kostendämpfung auch den Arzneimittelsektor. Das Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz (KVKG) von 1977 sah die Vereinbarung eines Arzneimittelhöchstbetrags zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und den KVs vor. Dieser sollte die Entwicklung der Arzneimittelpreise, die Zahl der behandelten Personen und die Entwicklung der Grundlohnsumme berücksichtigen. Die allgemeinen Charakteristika der ersten Phase der Kostendämpfungspolitik finden sich auch hier wieder: Es handelte sich um eine eher weiche Regelung, die von einer Budgetierung der Ausgaben noch weit entfernt war. Außerdem sollte der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen eine Preisvergleichsliste für Arzneimittel herausgeben. Schließlich wurden auch die Versicherten belastet: Sie hatten anstelle der bisherigen Rezeptblattgebühr in Höhe von maximal 2,50 D-Mark eine Gebühr von 1,00 D-Mark je Verordnung zu zahlen. Diese Gebühr wurde mit dem Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz im Jahr 1982 auf 1,50 D-Mark und mit dem Haushaltsbegleitgesetz im Jahr 1983 auf 2,00 D-Mark erhöht.
Darüber hinaus ist für die Arzneimittelversorgung noch das 1976 verabschiedete und 1978 in Kraft getretene Arzneimittelgesetz (AMG) von großer Bedeutung. Es regelte die generelle Marktzulassung von Arzneimitteln und ist nicht als ein Kostendämpfungsgesetz zu klassifizieren. Seitdem ist die Zulassung von Arzneimitteln an die Kriterien der Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und therapeutischen Qualität gebunden
Die Einführung von Festbeträgen
Den bisher bedeutendsten Einschnitt in die Preisgestaltung von Arzneimitteln stellten die mit dem Gesundheits-Reformgesetz 1988 vorgesehenen Festbetragsregelungen dar. Traditionell konnten die Arzneimittelhersteller die Arzneimittelpreise frei festsetzen. Dies hatte unter anderem zur Folge, dass die Preise auf dem deutschen Arzneimittelmarkt im internationalen Vergleich sehr hoch waren. Die Festbetragsregelungen sollten dem entgegenwirken.
Ein Festbetrag ist jener Geldbetrag, bis zu dem die Krankenkassen die Kosten eines Arzneimittels übernehmen. Übersteigt der Preis den Festbetrag, so muss die Patientin beziehungsweise der Patient die Differenz privat tragen – zusätzlich zu dem ohnehin zu entrichtenden Zuzahlungsbetrag. Da Patientinnen und Patienten ein solches teureres Medikament zumindest dann kaum nachfragen würden, wenn ein vergleichbares oder identisches Präparat angeboten wird, das den Grenzbetrag nicht überschreitet, wirken die Festbeträge für die Arzneimittelhersteller gleichsam als Höchstpreise.
Festbeträge werden in einem zweistufigen Verfahren festgelegt. Zunächst bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) (früher: Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen), für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge gebildet werden. Anschließend setzt der GKV-Spitzenverband einheitlich die jeweiligen Festbeträge fest.
Die Festbetragsregelung bezog sich in der 1989 in Kraft getretenen Regelung überwiegend auf Nachahmerpräparate (Generika). Für patentgeschützte Arzneimittel, die einen therapeutischen Fortschritt darstellten, galt weiterhin der Grundsatz der freien Preisbildung (zur Wirkung der Festbeträge siehe das Modul "
Dies erwies sich als Anreiz für die Arzneimittelhersteller, sogenannte Analogpräparate auf den Markt zu bringen. Dabei handelt es sich um Arzneimittel, die nur in geringem Maße von solchen Medikamenten abweichen, die bereits auf dem Markt sind. Diese neuen Medikamente genießen dann ihrerseits Patentschutz und fallen damit nicht unter die Festbetragsregelung, obwohl sie therapeutisch keine Verbesserung darstellen. Die Arzneimittelhersteller können für diese Medikamente deutlich höhere Preise erzielen. Erst das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) begrenzte mit Wirkung ab 2004 diese Möglichkeiten. Nunmehr fallen auch solche Analogpräparate ohne therapeutischen Fortschritt wieder unter die Festbetragsregelung.
Arzneimittelbudgets und Richtgrößen
Das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) sah ab 1993 eine Budgetierung der Arzneimittelausgaben (einschließlich der Ausgaben für Heil- und Hilfsmittel) vor, die – mit einer kurzen Unterbrechung – bis 2001 wirksam war. Diese Budgetierung war grundsätzlich genau so angelegt wie in den anderen Versorgungssektoren: Die Ausgaben durften nicht stärker steigen als die Grundlohnsumme. Überstiegen die Ausgaben für Arzneimittel in einer kassenärztlichen Vereinigung das vorgesehene Budget, sollte die vertragsärztliche Gesamtvergütung um den Fehlbetrag vermindert werden. Das Budget galt nicht nur für den Arzneimittelsektor insgesamt, sondern auch für die einzelne Ärztin und den einzelnen Arzt. Wenn ihre/seine Arzneimittelausgaben das Budget in gewissem Umfang überstiegen und sie/er diese Mehrausgaben nicht medizinisch rechtfertigen konnte, musste sie/er mit Konsequenzen rechnen.
Die Arzneimittelbudgets stießen auf den heftigen Widerstand der Vertragsärztinnen und -ärzte und wurden unter ihrem Druck mit Wirkung vom 1. Januar 2002 durch das Arzneimittelbudget-Ablösegesetz (ABAG) wieder abgeschafft. An ihre Stelle ist ein System von sogenannten Richtgrößen getreten. Diese Richtgrößen sind arztgruppenspezifische Vereinbarungen für das Volumen ärztlicher Arzneimittelverordnungen, die die Landesverbände der Kassen und die KVs auf Grundlage einer Bundesrahmenvereinbarung treffen. Werden die Richtgrößen überschritten, können die entsprechenden Ärztinnen und Ärzte einer Wirtschaftlichkeitsprüfung unterzogen werden. Derartige Prüfungen können zu Regressforderungen führen. Darüber hinaus sind die Kassen und KVs gehalten, nach geeigneter Abhilfe zu suchen sowie die Ärztinnen und Ärzte darüber zu belehren, wenn Richtgrößen überschritten werden. Richtgrößen sind also ein weicheres Steuerungsinstrument als Budgets.
Fortsetzung der Kostenprivatisierung
Auch in den 1990er-Jahren und zu Beginn dieses Jahrhunderts setzte sich der Trend zur Erhöhungen von Zuzahlungen bei Arzneimitteln weiter fort. Wichtige Schritte auf diesem Weg waren das Beitragsentlastungsgesetz 1996 das 2. GKV-Neuordnungsgesetz 1997 und das GKV-Modernisierungsgesetz 2003. Gegenwärtig müssen die GKV-Patientinnen und -Patienten zehn Prozent des Arzneimittelpreises selbst tragen. Der Mindestbetrag je Verordnung beträgt fünf Euro, der Höchstbetrag zehn Euro. Allerdings sind die Zuzahlungen zu Arzneimitteln seit einigen Jahren rückläufig (siehe Kapitel
Qualitätssteuerung – Arzneimittelpreisverordnung – Apothekerwesen
Seit dem Beginn dieses Jahrhunderts wurde in schneller Folge eine Vielzahl von Reformgesetzen verabschiedet, die sich auf weitere wichtige Aspekte der Arzneimittelversorgung beziehen.
So ist mit dem GKV-Modernisierungsgesetz 2004 (GMG) ein Institut für die Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) geschaffen worden, zu dessen wichtigsten Aufgaben die Bewertung des Nutzens und (seit 2007) der Wirtschaftlichkeit von Arzneimitteln gehört. Zuvor waren mit der Einführung von Richtgrößen (siehe oben) auch die Aufgaben der gemeinsamen Selbstverwaltung für die Qualität der Arzneimittelversorgung erweitert worden.
Das Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG) von 2006 sah für die Ärztinnen und Ärzte unter anderem die Einführung einer Bonus-Malus-Regelung bei der Arzneimittelversorgung vor. Dies sind Zielvereinbarungen zwischen Krankenkassen und Ärzteschaft, deren Erreichen (Nichterreichen) finanziell belohnt (bestraft) wird. Außerdem beinhaltete es eine Vielzahl von Sparmaßnahmen.
Vom Ende der 1980er-Jahre bis zum Beginn dieses Jahrhunderts war die sogenannte Positivliste erstattungsfähiger Arzneimittel ein umstrittener Dauerbrenner in der Arzneimittelpolitik. Sie sollte diejenigen Medikamente umfassen, die als therapeutisch wirksam gelten können, und nur diese sollten zulasten der GKV verordnet werden können. Die Positivliste wurde sowohl als Instrument zur Kostendämpfung als auch als Instrument zur Qualitätsverbesserung verstanden. Insbesondere SPD und Bündnis 90/Die Grünen hatten sich für eine Positivliste eingesetzt. Im Gesundheitsstrukturgesetz (1992) war sie vorgesehen, wurde aber nie realisiert und im Jahr 1996 von der konservativ-liberalen Koalition wieder gestrichen. Unter der rot-grünen Bundesregierung wurde sie mit der GKV-Gesundheitsreform 1999 wieder in das Sozialgesetzbuch aufgenommen. Erneut kam sie nicht zustande und wurde mit dem GKV-Modernisierungsgesetz 2003 wieder – diesmal wohl endgültig – aus dem Sozialgesetzbuch entfernt.
Schließlich ist mit dieser Reform auch das Mehrbesitzverbot für Apotheken gelockert worden. Bisher durfte eine Apothekerin oder ein Apotheker nur eine Apotheke führen. Seit 2004 dürfen Apothekerinnen und Apotheker unter bestimmten Umständen bis zu drei Filialapotheken betreiben. Auch der Internethandel mit Arzneimitteln wurde erleichtert. Darüber hinaus sah das GKV-GRG auch eine Reform der Arzneimittelpreisverordnung vor. Die Apothekerzuschläge orientieren sich seitdem nicht mehr so stark wie in der Vergangenheit an einem prozentualen Preisaufschlag, sondern überwiegend an einer Pauschalvergütung je abgegebenem Arzneimittel. Damit soll für Apothekerinnen und Apotheker der Anreiz vermindert werden, eher teure Medikamente abzugeben. Schließlich wurde den Apothekerinnen und Apothekern auferlegt, ein Medikament aus dem untersten Preisdrittel abzugeben, wenn die Ärztin oder der Arzt die Wahl des Präparats offenlässt (Aut-idem-Regelung).
Rabattverträge
Von großer Reichweite sind die mit dem GKV-Modernisierungsgesetz den Krankenkassen erstmals eröffneten Möglichkeiten, Rabattverträge mit den Arzneimittelherstellern einzugehen. Auf diese Weise soll im Bereich der Generika ein Preiswettbewerb zwischen den Arzneimittelherstellern etabliert werden, denn bisher hatten diese kein Interesse daran, den von den Krankenkassen festgesetzten Festbetrag zu unterschreiten. Jedoch blieb die Wirkung dieser Bestimmung bisher hinter den Erwartungen zurück. Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) sah eine Reihe weiterer Bestimmungen vor, die einen Preiswettbewerb bei Generika ermöglichen sollten. Von Bedeutung ist dabei insbesondere, dass die Apothekerin oder der Apotheker seitdem ein Präparat abgeben muss, für das die Krankenkasse der/des Versicherten einen Rabattvertrag abgeschlossen hat, wenn die Ärztin oder der Arzt einen Wirkstoff verschreibt oder der Apothekerin beziehungsweise dem Apotheker die Auswahl eines Arzneimittels überlässt.
Die Erfahrungen mit Rabattverträgen zeigen, dass Arzneimittelhersteller ein Interesse an einem solchen Rabattvertrag mit einer Krankenkasse haben, weil sie sich erhoffen, den Preisrückgang für das einzelne Präparat durch eine Erhöhung der Absatzmenge überkompensieren zu können.
Preisverhandlungen für patentgeschützte Arzneimittel
Darüber hinaus verabschiedete die schwarz-gelbe Bundestagsmehrheit einige grundlegende Bestimmungen zur Reform der Preisbildung bei patentgeschützten Medikamenten, die zu besonders starken Preistreibern im Arzneimittelmarkt gehören. Diese Maßnahmen wurden mit dem Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) zum 1. Januar 2011 in Kraft gesetzt (BGBl. I: 2262). Hierbei handelte es sich um folgende Bestimmungen:
Die Arzneimittelhersteller müssen für die Bewertung eines neuen Medikaments durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) künftig Nachweise über deren Zusatznutzen vorlegen. Der G-BA nimmt daraufhin innerhalb von drei Monaten eine eigene Beurteilung vor ("Frühbewertung").
Danach entscheidet der G-BA, wie mit dem Arzneimittel weiter zu verfahren ist. Wenn kein Zusatznutzen vorliegt, wird der Preis für das Medikament nach dem Festbetragsverfahren durch die Krankenkassen festgelegt. Wenn ein Zusatznutzen festgestellt wird, treten Arzneimittelhersteller und Krankenkassen in Preisverhandlungen ein. Sie müssen ein Jahr nach der Markteinführung des Medikaments abgeschlossen sein. Ist dies nicht geschehen, setzt eine unabhängige Schiedsstelle den Preis für dieses Medikament fest.
Die Reform der Arzneimittelpreisbildung wurde höchst kontrovers beurteilt. Die Regierungsparteien hielten sich zugute, erstmals einen Eingriff in die freie Preisbildung bei patentgeschützten Arzneimitteln durchgesetzt zu haben. Allerdings wiesen Kritikerinnen und Kritiker darauf hin, dass die Reform nicht weit genug ginge, denn sie gestatte den Arzneimittelherstellern, den Preis für ein neues Medikament im ersten Jahr nach wie vor selbst festzulegen. Angesichts der bevorstehenden Preisverhandlungen würden sie diesen Preis besonders hoch ansetzen. Dieser überhöhte Preis würde dann zum Bezugspunkt der Rabattverhandlungen werden. Auf diese Weise würden die Pharmaunternehmen in die Lage versetzt, eine Reduzierung des zuvor kalkulierten Gewinns zu vermeiden.
Mehr zum Thema: siehe Kapitel