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Workshop 1 - Die Opferbereitschaft von Soldatinnen und Soldaten als pädagogischer Gegenstand | 19. Bensberger Gespräche 2024 | bpb.de

19. Bensberger Gespräche 2024 Zusammenfassung Einführende Bemerkungen Eröffnungsstatements Podiumsdiskussion: „Dienen“ für Deutschland Aktuelle Stunde zum Nahost-Konflikt Open Space Workshop 1 - Opferbereitschaft von Soldatinnen und Soldaten Workshop 2 - Debatte zur Wiedereinsetzung der Wehrpflicht Workshop 3 - Strategische Kultur Workshop 4 - „Geistige Landesverteidigung“ Workshop 5 - Die Werteentwicklung in der Gesellschaft Vortrag - Vergleich der Dienste an der Gesellschaft Impulsvortrag und Diskussion: Ideen für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für alle Podiumsdiskussion: Einsatz für die Gesellschaft und die Demokratie

Workshop 1 - Die Opferbereitschaft von Soldatinnen und Soldaten als pädagogischer Gegenstand

Martin Bayer

/ 4 Minuten zu lesen

Der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Hermann J. Abs regte die Teilnehmenden seines Workshops dazu an, die pädagogische Behandlung des Soldatenberufs an Schulen kritisch zu betrachten.

Der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Hermann J. Abs regte die Teilnehmenden dazu an, die pädagogische Behandlung des Soldatenberufs an Schulen kritisch zu betrachten. Er vertrat die Auffassung, dass eine herausgehobene Distanzierung kritisch sei, da sie der Bundeswehr und ihrer Anbindung an die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht gerecht werde. (© Bundeswehr/Caldas Hofmann) (© Bundeswehr/Caldas Hofmann)

Die Bundeswehr - Hohes Vertrauen bei Schülerinnen und Schülern

Im ersten Teil des Workshops stellte der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Hermann J. Abs von der Universität Duisburg-Essen einige Studienergebnisse vor. So vertrauten laut der ICCS-Studie zur Schulischen Sozialisation und politischen Bildung von 14-Jährigen im internationalen Vergleich (International Civic and Citizenship Education Study der International Association for the Evaluation of Educational Achievement) aus dem Jahr 2022 ca. 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler Nordrhein-Westfalens und Schleswig-Holsteins der Bundeswehr als Institution – der einzigen Institution, der seit der früheren Studie aus dem Jahr 2016 mehr Vertrauen entgegengebracht werde. Zum Vergleich werde der Bundesregierung zu ca. 77 Prozent, den Lehrkräften zu ca. 66 Prozent, den traditionellen Medien zu ca. 57 Prozent und den sozialen Medien nur zu ca. 31 Prozent vertraut – und auch gegenüber den Menschen im Allgemeinen seien die jungen Leute mit ca. 42 Prozent Vertrauen eher kritisch. Selbst, wenn alle Studien nur bedingte Aussagekraft besäßen, da nur ein kleiner Bevölkerungsteil befragt würde, sei nach Prof. Abs doch festzustellen, dass die Bundeswehr generell eine hohe Akzeptanz bei der Bevölkerung besäße, die den Streitkräften ein hohes Vertrauen entgegenbringe. Jenes Vertrauen in die Bundeswehr sei zwar als notwendige Ressource für ihren Fortbestand zu sehen, nicht jedoch als hinreichende. Generell bilde das heutige positive Bild der Streitkräfte auch ab, als wie nützlich sie gesehen würden – und durch den russischen Angriff auf die Ukraine sei ein klarer Nützlichkeitsgewinn zu vermerken.

Darstellung des Soldatenberufs im Unterricht

Für das Bild der Bundeswehr in der Schule werde zum Beispiel das Militär als „organisierte Friedlosigkeit“ definiert; zwischenstaatliche aktuelle Kriege tauchten dort als Phänomen von Entwicklungsländern auf, oder würden generell als mangelndes Bemühen aller Beteiligter in der Suche nach einer konstruktiven und gewaltfreien Konfliktaustragung angesehen – eine auch in der gegenwärtigen politischen Diskussion häufig anzutreffende Wahrnehmung, die jedoch negiere, dass es auch gewaltbereite Aggressoren gebe, denen es nicht um Verhandlung, sondern Eroberung gehe.

Abs beschrieb, wie er einst an seiner Schule viel Unterstützung für die Verschriftlichung seines eigenen Antrags auf Kriegsdienstverweigerung erhalten hatte – doch wie sähe die Unterstützung für einen jungen Menschen aus, der sich bei der Bundeswehr bewerben möchte?

Der Soldatentod als pädagogischer Gegenstand, so Abs, fand sich vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine beispielsweise im Geschichtsunterricht zu den Perserkriegen bzw. dem Entstehen der Demokratie im antiken Griechenland, in dessen Rahmen das Gedicht „Der Spaziergang“ von Friedrich Schiller eingesetzt werde. Heinrich Bölls darauf rekurrierender und im Unterricht quasi-kanonischer Text „Wanderer, kommst Du nach Spa…“ stelle jede Aufopferung für das eigene Land in Frage – auch wenn der Hintergrund das Soldatenerleben in einer Angriffsarmee innerhalb eines Vernichtungskrieges sei, und nicht der einer Verteidigungsarmee wie der Bundeswehr.

Prof. Abs sah diese herausgehobene Distanzierung kritisch, da sie der Bundeswehr und ihrer Anbindung an die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die UN-Charta nicht gerecht werde. Das Soldatenbild dürfe somit nicht auf einen einzigen historischen Kontext hin definiert werden, sondern müsse multiperspektivisch diskutiert werden. Die Todesbereitschaft von Soldaten könne somit als Beispiel für die menschliche Möglichkeit diskutiert werden, den Wert des eigenen Lebens nicht als absolut anzusehen.

Bedeutung von Sprache: Welche Begriffe sind angemessen?

Im zweiten Teil wurden in vier Arbeitsgruppen zwei Frageblöcke diskutiert: Erstens, wie geeignet sind Begriffe wie Opfer(bereitschaft), Tod(esbereitschaft), Hingabe(bereitschaft) oder Einsatz(bereitschaft)? Zweitens, wie sollten im Dienst für die Demokratie oder bei ihrer Verteidigung gestorbene Soldaten erinnert werden (nur/als Helden, auch die Unglücksfälle, gar nicht etc.)?

Die Teilnehmenden präsentierten nach der Arbeitsphase ihre unterschiedlichen Ergebnisse. So wurde der Begriff „Einsatz“ von manchen als am ehesten passend gesehen, von anderen wiederum als zu funktional oder unspezifisch (siehe z.B. Feuerwehreinsätze). Der Tod wiederum sei nicht der Zweck des Soldatenberufs; die Todesbereitschaft eine Selbstverständlichkeit, aber nicht die Absicht. Das Opfer wiederum wurde im Sinne des lat. victima als passives und damit unbeteiligtes, schwaches Opfer gesehen, wie auch im Jugendschimpfwort („Du Opfer!“), und weniger im sich aktiv opfernden sacrificium. Der Terminus der Opferbereitschaft wurde hingegen als zu hochtrabend wahrgenommen. Als Alternative wurde von einer Gruppe „Hingabe“ als selbstlose Aufopferung gesehen. Doch würde dies von Jugendlichen akzeptiert? Immerhin, so war man sich einig, sei auch die „Ehre“ ein zeitgenössisch überaus positiv besetzter Begriff.

Im Rahmen der Diskussion um die Erinnerung wurde auch die Frage nach „Helden“ diskutiert: Wer ist eine Heldin oder ein Held, wie muss man sich dafür auszeichnen? Gibt es überhaupt Heldinnen bzw. Helden, oder sind diese – zumal im postheroischen Zeitalter –dem Diesseits entrückte Übermenschen? Wäre eine politische Bildungsarbeit mit Helden überhaupt möglich, oder müssten es vielmehr Vorbilder sein?

Moderation: Prof. Dr. Hermann J. Abs, Universität Duisburg-Essen
Dokumentation: Martin Bayer

Fussnoten

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