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Wahlkampfthema Digitalisierung: Was fordern die Parteien zur Bundestagswahl? | Politische Bildung in einer digitalen Welt | bpb.de

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Wahlkampfthema Digitalisierung: Was fordern die Parteien zur Bundestagswahl?

Isabelle Borucki Daniel Ruttloff

/ 8 Minuten zu lesen

Im Interview geben Isabelle Borucki und Daniel Ruttloff einen Überblick über die digitalen Themen und Konfliktlinien im Bundestagswahlkampf 2021. Obwohl alle im Bundestag vertretenen Parteien die Digitalisierung von Bildungseinrichtungen und Verwaltungsprozessen fordern, unterscheiden sich die Ideen zur Umsetzung und Schwerpunkte deutlich.

In den Wahlprogrammen zur Bundestagswahl finden sich verschiedene digitale Schwerpunkte. (Illustration: Johanna Benz und Tiziana Beck/graphicrecording.cool) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de

bpb.de: Welche Rolle spielt die Digitalisierung als Thema im Bundestagswahlkampf?

Daniel Ruttloff: Die Digitalisierung spielt dabei eine so wichtige Rolle wie nie. Sie ist schließlich kein neues Thema mehr: Das Internet ist seit den 1990er-Jahren immer mehr auf dem Vormarsch, die Nutzung von Social Media nimmt weiterhin zu und seit dem US-Wahlkampf von Barack Obama 2008 werden auch hierzulande zunehmend digitale Medien für politische Ziele verwendet. Zudem haben wir jetzt wahlberechtigte Gruppen, die mit dem Internet aufgewachsen sind und nie die Zeit ohne Computer und Internet kennengelernt haben. Zeitgleich sehen wir, dass die Digitalisierung von vielen Parteien erst dann als Politikum ernstgenommen wurde, als diese neuen Gruppen wahlberechtigt geworden sind und insofern in das Interesse der Politik als adressierbare Zielgruppe gerückt sind. Zudem hat die Corona-Pandemie die Rückstände in der Digitalisierung offengelegt.

Isabelle Borucki: Die mit der Pandemie verbundenen einschränkenden Maßnahmen haben zudem gezeigt, wie wichtig die Digitalisierung für unser Leben geworden ist: Sei es durch Streaming-Plattformen, digitale Treffen oder die Nutzung digitaler Techniken in der Arbeitswelt. Digitale Kommunikation und Technologie ist allgegenwärtig. Digitale Wahlkampftaktiken sind in Deutschland hingegen vergleichsweise neu. Zwar experimentierten die deutschen Parteien schon länger damit, beispielsweise die Piratenpartei, die digitale Themen und Partizipation schon sehr früh angesprochen hat. Der erste wirklich digital unterstützte Wahlkampf war aber der zur Bundestagswahl 2017. Dort wurden digitale Taktiken und Methoden zur Wählergewinnung und -mobilisierung eingesetzt. Als Beispiel dafür lassen sich Memes, also Bilder oder Videos mit lustigen Untertiteln nennen, die bereits seit längerem in der politischen Kommunikation Einzug gehalten hatten und gerade junge Menschen für Politik begeistern sollen. Auch die Unterstützung des Haustürwahlkampfs durch Apps zur Koordination und Themensetzung wurde beispielsweise von der CDU professionalisiert.

Für die Bundestagswahl 2021 können wir erwarten, dass diese Erfahrungen und vor allem auch die Erkenntnisse der diesjährigen Landtagswahlkämpfe unter Corona-Bedingungen einfließen und Techniken und Strategien aus anderen Ländern sowie die Erfahrung der dortigen Teams Einzug halten werden. Zu vermuten ist angesichts der Pandemie, dass analoge gegenüber digitalen Wahlkampftaktiken bei der Planung der Wahlkämpfe eher vernachlässigt wurden.

Was sind die zentralen digitalen Forderungen der Parteien und wo liegen die Schwerpunkte?

Borucki: Die Digitalisierung als Mainstream- oder Querschnittsthema findet sich bei jeder der aktuell im Bundestag vertretenen Parteien im Wahlprogramm. Dabei gibt es Themen, die von allen aufgegriffen werden: So nennen alle Parteien Konzepte zur Digitalisierung von Verwaltungsprozessen oder zur Digitalisierung von Bildungseinrichtungen als Erfahrung aus der Pandemie, die verstetigt werden müsse. Auch die Abhängigkeit vom Ausland in der Produktion von Hard- und Software wird von den meisten Parteien als Problem angesprochen und soll gelöst werden durch den Aufbau einer Europäischen Halbleiterindustrie, die auch in Deutschland für Arbeitsplätze sorgen soll.

Ruttloff: Nichtsdestotrotz haben die einzelnen Parteien differenziertere Schwerpunkte. So plädiert die CDU/CSU dafür, ein Digitalministerium einzurichten und den rechtlichen Rahmen für digitale Plattformen weiterzuentwickeln. Auch soll Bürokratie durch Online-Plattformen abgebaut und Verwaltung digitalisiert werden. Im Bereich Künstlicher Intelligenz und Blockchain soll die Einrichtung von Professuren und Forschungsstandorten vorangetrieben werden. Zudem stellt die Union den Aspekt der inneren Sicherheit und das Potenzial von Big Data dar: Daten sollen besser ausgenutzt werden z.B. für das Gesundheitswesen. Der Datenschutz könne zugunsten dieser Bereiche aufgelockert werden.

Der Schwerpunkt der SPD liegt auf der sozialen Verträglichkeit und Notwendigkeit der Digitalisierung. So fordert die Partei unter anderem die Umsetzung der jüngst von den G20-Staaten beschlossenen Mindestbesteuerung von Digitalunternehmen, welche ihre Dienste in Deutschland anbieten. Die großen Digitalunternehmen wie Google, Amazon und Facebook sollen damit ihren Teil zum Gemeinwesen beitragen. Darüber hinaus soll es einen Sozialtarif geben für Geringverdiener, Schüler und Studenten, sodass der Zugang zum Internet für jeden bezahlbar ist. Ein Recht auf digitale Bildung für alle Generationen ist ebenfalls vorgesehen, Schulgebäude sollen digital ausgestattet und modernisiert werden und Schulkinder Zugang zu digitalen Endgeräten erhalten.

Borucki: Die Alleinstellungsmerkmale der Grünen im Bereich Digitalisierung umfassen vor allem Maßnahmen zur Reduzierung des Energie- und Ressourcenbedarfs. Daneben sollen öffentliche Ausschreibungen um eine sozial-ökologische Komponente als Vergabekriterium erweitert werden. Außerdem sollen Rechenzentren des Bundes nachhaltig werden und mit erneuerbarer Energie betrieben werden. Dazu fordern die GRÜNEN, dass Frauen in der Digitalbranche gefördert werden sollen. Die meisten Ideen der GRÜNEN, wie die Regulierung von Internetgiganten, der Ausbau von High-Tech-Standorten oder das Recht auf Homeoffice, können auch bei den anderen Parteien gefunden werden.

Auch die FDP möchte ein Ministerium für digitale Transformation einrichten. Zudem soll es eine flächendeckende Mobilfunkabdeckung geben. Die FDP setzt darauf, dass "Internetfreiheit und digitale Menschenrechte“ auch außenpolitische Schwerpunkte werden. Außerdem setzt sich die Partei für die Netzneutralität ein, sodass alle versendeten Datenpakete gleichwertig behandelt werden. Dazu möchte die FDP mit Gigabit-Gutscheinen Privathaushalten sowie klein- und mittelständische Unternehmen einen Teil der Kosten erstatten, die beim Ausbau von Hochgeschwindigkeitsnetzen anfallen. Zeitgleich soll dieser Ausbau nachfrageorientiert stattfinden. Dies würde bedeuten, dass zuerst Städte und danach kleinere Ortschaften in den Fokus genommen werden. Zudem soll die Verwaltung digitalisiert werden und eine Strategie zur Cybersicherheit entwickelt werden. Die FDP plädiert außerdem für die Gründung einer "European Digital University“, die Menschen in ganz Europa ortsunabhängig Zugang zu Lehrangeboten ermöglicht.

Ruttloff: Die LINKE setzt im Bereich Digitales sowohl soziale als auch Grundrechtsschwerpunkte. Unter anderem fordert die LINKE etwa, dass die fortschreitende Digitalisierung dazu genutzt werden müsse, die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben zu fördern. So fordert die LINKE etwa die Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Zudem setzt sie sich für die Mitbestimmung von Betriebs- und Personalräten bei der Einführung von IT-Systemen in Unternehmen sowie für die Begrenzung der Macht von Internetkonzernen und Plattformen (z.B. durch Besteuerung) ein. So soll eine "Entflechtung marktbeherrschender Monopole“ erreicht werden. Die LINKE lehnt außerdem den Einsatz von Upload-Filtern als Zensur ab und fordert den Ausbau des Glasfasernetzes. Internetzugänge sollen wie Wasser oder Strom auch bei versäumter Zahlung nicht abgeschaltet werden dürfen und in der Mindestsicherung berücksichtigt werden. Zum Schutz der Grundrechte fordert die LINKE, dass die soeben beschlossene Quellen-Telekommunikationsüberwachung wieder verboten wird. Auch die Vorratsdatenspeicherung und die Videoüberwachung im öffentlichen Raum müssten beendet werden. Außerdem solle digitale Gewalt im Netz juristisch anerkannt und verfolgt werden können.

Die zentralen Punkte der AfD umfassen etwa die Abschaffung des Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), die Verhinderung von Upload-Filtern, die Abschaffung der Datenschutzgrundverordnung (DSVGO), gleichzeitig aber die Wahrung des Datenschutzes der Bürger gegenüber dem Staat und das Einhalten rechtsstaatlicher Prinzipien. Darunter versteht die AfD beispielsweise, dass soziale Netzwerke sich im Umgang mit Beiträgen der Nutzer neutral verhalten sollen und nur die Justiz die Zulässigkeit eines Posts bewerten dürfe, nicht die Plattformen selbst, wie es das Netzwerkdurchsetzungsgesetz etwa im Fall von Hasskriminalität und strafbaren Falschnachrichten vorgibt. Die Partei fordert beim Ausbau des Mobilfunkstandards 5G regionale Strukturen und nimmt Bezug auf Verschwörungsideologien, indem sie neue Studien fordert, welche die gesundheitlichen Risiken von 5G überprüfen sollen. Die AfD fordert außerdem, dass die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gesetzlicher Standard werden solle. Außerdem plädiert sie für eine stärkere Förderung der Quanten-Kryptographie zur Erhöhung der nationalen Sicherheit. Die Kryptographie dient dem Verschlüsseln und Entschlüsseln von Daten. Herkömmliche Verschlüsselungsmethoden wären dadurch nicht mehr sicher.

Wird der Wahlkampf 2021 stärker im Digitalen stattfinden? (Illustration: Johanna Benz und Tiziana Beck/graphicrecording.cool) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de

In welchen Bereichen sehen Sie Leerstellen bzw. welche Forderungen aus Wissenschaft oder Zivilgesellschaft adressieren die Parteien nicht?

Ruttloff: Da wir in Deutschland eine breit aufgestellte Parteienlandschaft haben, werden viele Forderungen aus verschiedenen politischen Richtungen der Zivilgesellschaft abgedeckt. Aus der Wissenschaft hingegen gibt es teilweise nicht oder kaum adressierte Forderungen: Beispielsweise forderten einige Wissenschaftler, dass die Corona-Warn-App des Bundes weniger auf Datenschutz setzt und das Infektionsgeschehen deutlicher sichtbar mache. Oder dass ein positiver Covid-19-Test im Nachhinein als Warnung an andere Kontakte gesendet würde bzw. dass eine automatisierte Kontaktverfolgung direkt an die Gesundheitsbehörden geschickt werden solle.

Welche Rolle spielt digitale Bildung für den Bundestagswahlkampf, etwa in Bezug auf Ausstattung, Fortbildungen und Lehrpläne?

Borucki: Die Digitale Bildung spielt im Wahlprogramm nach der Corona-Pandemie bei allen im Bundestag vertretenen Parteien eine Rolle. Jede Partei setzt Förderungen, Konzepte und Fortbildungen auf die Liste ihrer Forderungen. Zwar gibt es in der Umsetzung feine Unterschiede zwischen den Parteien, es besteht jedoch eine gewisse Einigkeit, dass etwas getan werden muss.

Allerdings ist Bildungspolitik Ländersache, die lediglich durch Rahmengesetzgebungen von der Bundesebene beeinflusst werden kann. Insofern ist der Einfluss der Bundesregierung auf die Bildungspolitik durchaus begrenzt. Vor allem über den Digitalpakt Schule kann der Bund Geld zur Verfügung stellen. Dieser wird von SPD, FDP und GRÜNE begrüßt und soll ausgebaut werden. Die CDU kritisiert, dass nicht alle Gelder abgerufen worden seien. Der Staat solle sich stärker zurückziehen. Was der Bund und die neue Regierung jedoch tun können, ist generell mehr Ressourcen in Bildung zu investieren – beginnend bei der frühkindlichen Bildung im Zusammenhang mit Digitalisierung.

Inwiefern wird die Perspektive von Kindern und Jugendlichen im Kontext Digitalisierung thematisiert?

Ruttloff: Dieses Thema findet sich vor allem im Zuge der Positionierungen und Forderungen rund um Bildungspolitik wieder. Bei einigen Parteien sind diese Forderungen tiefgreifender, bei anderen eher allgemein gehalten. So schreibt die AfD lediglich, dass Schulen eine moderne zeitgemäße Ausstattung bräuchten, die Digitalisierung allerdings stets auf Sinnhaftigkeit und Arbeitserleichterung bedacht werden müsste. Bei der SPD finden sich beispielsweise weitere Forderungen von der Förderung von Medienkompetenz und Entwicklung von digitalen Lehr- und Lernplattformen bis hin zu einem Sozialtarif mit dem jeder, auch Schüler aus und Studierende aus einkommensschwachen Haushalten, die Möglichkeit zur Partizipation in der digitalen Welt haben.

Zusätzlich dazu thematisieren etwa die CDU/CSU, FDP und GRÜNEN Cybermobbing als Problem, das insbesondere Kinder und Jugendliche betrifft, jedoch auch in allen anderen Altersgruppen auftritt. Ebenfalls wird von Parteien des eher linken Spektrums gefordert, dass jeder an der digitalen Welt teilhaben können sollte. Durch Vergünstigungen oder zur Verfügung gestellte Geräte sollen auch einkommensschwache Haushalte die Möglichkeiten des Internets in Anspruch nehmen können. Die meisten Forderungen, die Kinder und Jugendliche adressieren, beziehen diese Gruppen mit ein. Es sind letztlich Vorschläge, wie alle Menschen von der Digitalisierung profitieren können, unabhängig vom eigenen Einkommen oder dem Einkommen der Eltern.

Weitere Inhalte

Dr. Isabelle Borucki ist Vertretungsprofessorin für das politische System der Bundesrepublik Deutschland an der Universität Siegen und leitet DIPART, eine Nachwuchsforschungsgruppe zur digitalen Parteienforschung sowie SOKAMO, ein Projekt zur Beobachtung der Wahlkampfpositionierung von Kandidierenden und Parteien im diesjährigen Bundestagswahlkampf, gefördert von Reset.

Daniel Ruttloff arbeitet als Mitarbeiter in den Projekten DIPART sowie SOKAMO und schrieb seine Masterthesis zu Desinformation auf sozialen Netzwerken am Beispiel Facebook.